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marczitzmann

Zwei rote Laternen in der Nacht von Pigalle

Kurtisane trifft Kokotte im salon des petits bonheurs: Die Maison Souquet ist eine orientalisch opulente, französisch raffinierte Fantasie auf das Thema „Freudenhaus“


Im ersten Beitrag dieser Cocktailbar-Rubrik hatte ich über das affig „SoPi“ getaufte Viertel berichtet. „South Pigalle“ ist längst kein Ganoven- und Zuhälterviertel mehr. Aber es zehrt noch von dieser Vergangenheit, deren schlechter Ruf sich zum aufreizenden Ruch verflüchtigt hat. Die Maison Souquet, ein Fünf-Sterne-Hotel einen Steinwurf vom Boulevard de Clichy entfernt, der die Places Blanche und Pigalle verbindet, übernimmt so den Namen eines Luxusbordells, das eine gewisse Madame Souquet Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in diesen Mauern betrieben hatte. Jedes der zwanzig Zimmer ist nach einer Dame benannt, die auf die eine oder andere Art von ihren Liebreizen lebt(e). Man muss ein wenig nachhaken, um zu erfahren, dass diese Maison Souquet erster Machart lediglich zwischen 1905 und 1907 in Betrieb war und dass ihr eine école de jeunes filles vorangegangen war, eine Mädchenschule. „Die Geschichte sagt nicht, ob es vorher und nachher dieselben Mädchen waren“, scherzt Barmanager Pierrick Baudry – man meint zu hören, dass er den Satz schon öfter gesagt hat und sich seiner Pointe gewiss ist. „Die Freuden des Hauses haben sich gewandelt“, fügt er hinzu.


Sinneslüste, Gaumenfreuden (Bild: Benjamin Rosemberg)

In der Tat bildet die Maison Souquet zusammen mit der Maison Athénée und der unlängst eröffneten Maison Proust Sylviane Sanz’ und Yoni Aidans „Collection maisons particulières“, eine kleine, feine Gruppe von Pariser Boutiquehotels, die die Sinnen- und namentlich Augenfreuden groß schreibt. Die Interieurs der drei Hotels wurden jeweils durch den französischen Stardekorateur Jacques Garcia gestaltet, dessen Name für Opulenz ohne Protzigkeit und für Historismus vom Erlesensten steht. Die Enfilade der drei Bar-Salons der Maison Souquet, die das Erdgeschoss des kleinen Hauses bilden, vermittelt so zwischen Romantik und Belle Époque, zwischen Delacroix und Boldini.


Hinter der straßenseitigen Fassade, an der zwei rote Laternen solvente Klienten anziehen wie Kerzenlicht die Nachtfalter, erwartet einen der salon des 1001 nuits mit seinen orientalisierenden Boiserien aus einem Brüsseler hôtel particulier des Fin de siècle unter einem Muranoglas-Leuchter. Daran anschließend der mit warmem Holz getäfelte salon des petits bonheurs, wo dem Bar-Tresen eine Bibliothekwand mit alten Lederbänden und mit kostbaren Schach- und Backgammon-Spielen gegenübersteht. Endlich der auf einen winzigen Raucherpatio hinausblickende jardin d’hiver, ein intimerer Raum mit smaragdgrün wattierten Wänden unter einem raffinierten Zeltdach. Mit rubinrotem Samt ausgeschlagene neogotische Möbel – darunter „crapauds“ („Kröten“) genannte niedrige Sessel und ein Viersitzer mit kleeblattförmig angeordneten Sitzen – verklammern die drei Säle. Deren Enfilade spielt nicht zuletzt auf die Raumdisposition der gehobenen maisons closes an, wo die allesamt miteinander bekannten Klienten im ersten Saal Konversation betrieben, im zweiten (bei der Vorführung der Mädchen) Inspektion, im dritten und letzten nach vollbrachter Tat Relaxation.


1001 Nacht (Bild: Benjamin Rosemberg)
Kleine Freuden (Bild: Benjamin Rosemberg)
Wintergarten (Bild: Benjamin Rosemberg)

Wie die Hotelzimmer tragen auch die Cocktails jeweils den Namen eines mehr oder minder leichten Mädchens von heute oder gestern. Die vierzehn Kreationen sind in fünf Kategorien unterteilt, deren Tarife von der normalen Pariser Bar bis zum Palasthotel reichen, von dreizehn bis vierundzwanzig Euro. „Les emblématiques“, die teuerste Kategorie, stellt zwei legendäre Kurtisanen der Belle Époque gegenüber: La Belle Otero („berühmte Liebhaber: König Eduard VII. von England, Großfürst Nikolaus II. von Russland, König Leopold II. von Belgien“, klärt einen die Karte auf) und Liane de Pougy. „La Belle Otero“, führt Barmanager Pierrick Baudry im Telefongespräch aus, „ist eine Umformulierung des ‚Old Fashioned‘ mit hauptsächlich Produkten der schottischen Islay-Insel. Von der dortigen Bruichladdich-Brennerei verwenden wir so den ‚Classic Laddie‘-Whisky, der mehr nach Jod schmeckt als nach Torf, den Gin ‚The Botanist‘, der mit Blättern, Samen und Wurzeln von der Insel hergestellt wird, und – als Spray, um die rauchigen, torfigen Noten zu verstärken – den nur in kleinen Mengen produzierten torfigsten Whisky der Welt, den Octomore. Dazu Schokoladen-Bitter und getrocknete Kaviarkörner, mit denen wir den Glasrand überziehen“.


„La Belle Otero“ (Bild: Benjamin Rosemberg)

Der Cocktail „Liane de Pougy“ versetzt seinerseits den „Vieux carré“ von New Orleans nach Frankreich: Zu Cognac und Rye Whisky gesellt sich hier Saint-Raphaël quina rouge als Dritter im Bunde, ein Wermut mit Aromen von Orange, Schokolade und Chinarinde, das Gemisch wird mit Chartreuse jaune und Noix de la Saint-Jean versetzt, einem nussigen provenzalischen Apéritif, dann einen Monat lang in einem Fässchen gereift, damit die Ingredienzien miteinander verschmelzen.


„Liane de Pougy“ (Bild: Benjamin Rosemberg)

Die Kategorie „Les Belles horizontales“ enthält zwei Champagner-Cocktails: neben der von Dita von Teese inspirierten „Dita“ eine aufregende Kreation namens „Sarah“ auf Rum-Basis mit dem Likör „Amour Matador“ von H.Theoria. „Ich arbeite seit der Gründung vor sieben Jahren mit dieser französischen Brennerei zusammen“, führt Baudry aus, „ihre Spirituosen sind eine unglaubliche Inspirationsquelle“. Mit seinen Noten von Zimt und getrockneter Tomate verbindet sich „Amour Matador“ ideal mit einem hausgemachten Rote-Beete-Sirup und mit einer Infusion von Sansho-Beeren in Bergamottensaft.


„Sarah“ (Bild: Benjamin Rosemberg)

„Gisèle“ in der „Les courtisanes“ betitelten Kategorie klassischer Cocktails leitet mit seinen Assoziationen an Brioche und Konfitüre – die Mineralität von Sake temperiert hier die Süße von mit Mandeln infundiertem Cognac und von mit Koriander gewürztem Erdbeersirup – über zu den „Créations gourmandes“: vier Patisserien nachempfundene Kreationen wie die „Forêt noire“ (Schwarzwälder Kirschtorte) oder die „Tarte framboise“. Zwei alkoholfreie Cocktails endlich, in der Kategorie „Les cocottes“ vereint, überraschen mit Einfallsreichtum – „Lola“ etwa mixt Mirabelle, Honigsirup, Holunderblüten-Tonic und Yuzu-Saft mit Timut-Pfeffer.


„Gisèle“ (Bild: Benjamin Rosemberg)

Die Bar der Maison Souquet lebt von der Teamleistung der kleinen Equipe – zurzeit sind das neben dem Barmanager Alberto Bonaudo und Louis Proust. Jeder der drei mixt, nimmt Bestellungen auf und macht Büroarbeit – und jeder trägt mehrmals im Jahr zur Erneuerung der Karte bei. Nicht zuletzt verbreitet das Trio eine wohl professionelle, dem Fünf-Sterne-Niveau des Hauses angemessene Stimmung, die aber auch jung ist und sogar einen Schuss peppig-frivol. Bei meinem letzten Besuch ließ Bonaudo so eine Playlist von italienischem Pop laufen und erklärte seine Flamme für die Sängerin Dalida, die zwei Steinwürfe entfernt in Montmartre gelebt hat.


Blick auf den Bartresen im salon des petits bonheurs (Bild: Benjamin Rosemberg)

Die Bar ist ungleich weniger formell und einschüchternd als es auf den menschenleeren Hochglanzfotos hier scheinen mag: Mittwochs und Donnerstags steigen Lautstärke und Betriebsamkeit regelmäßig, wenn jüngere, hippere Besucher von auswärts sich unter die wohlerzogenen Hausgäste mischen. Dennoch möchte ich die Maison Souquet zu den Etablissements zählen, die man zu zweit oder dritt besucht, um zu plaudern – und um sich an der Schönheit der Dekors wie am mixologischen Liebreiz der Karte zu berauschen. Insofern haben sich „die Freuden des Hauses“ zwar geändert, wie Pierrick Baudry eingangs befand, versprechen aber nach wie vor höchsten Sinnenkitzel…



Unter dem Strich:


Ort: In der Sparte „orientalische Opulenz, französisches Raffinement“ ist die Bar ein Meisterwerk. Wie ein Parfum von Serge Lutens – man liebt oder hasst diese Art von hochgezüchteter Üppigkeit. – 19/20

Stimmung: Ein ruhiger Sonntagabend, wir haben den Wintergarten ganz für uns. Maison Souquet zählt zu jenen Bars, die nie leer wirken, auch wenn man ganz allein darin sitzt. Nach 22 Uhr kommen noch drei junge Gäste – immer ein gutes Zeichen. – 16/20

Service: Beschwingt, aber ohne Familiarität; mit Klasse, aber ohne Palast-Dünkel. Auf das Fehlen eines Ingrediens für „Louise“ wird sofort hingewiesen, ein Vorschlag für einen möglichen Ersatz im selben Satz mitgeliefert. Zum ersten Cocktail gereichte Wasabi-Erdnüsse werden beim zweiten durch Oliven ersetzt, mit der lächelnden Bemerkung: „Ich habe gesehen, dass die Nüsse keinen reißenden Absatz gefunden haben“. Einzig bis zur ersten Bestellungsaufnahme verstreicht weit über eine halbe Stunde – das ist entschieden zu lang. – 15/20

Cocktails: Die Karte ist sehr durchdacht, in klare Kategorien unterteilt und erzählt – wie jene der (ganz anders gearteten) Gravity Bar – eine Geschichte. Für sich genommen hält jede der Kreationen ein hohes Niveau; manche – wie „Liane de Pougy“ und „Sarah“ – verbinden Ingredienzien mit jeweils ausgeprägtem Charakter zu einer höheren Harmonie. – 16/20
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