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marczitzmann

Uniform: ja – Nein zur Abaya!

Aktualisiert: 6. Okt. 2023

Schulische Kleidergebote und -verbote sollen in Frankreich Respekt und Autorität fördern


Frankreich hat seit unlängst einen neuen Bildungsminister. Zu Gabriel Attals ersten Amtshandlungen zählten das Verbot des Tragens der Abaya in allen Lehranstalten des Landes sowie ein Vorstoß in Sachen Schuluniform. Beide Maßnahmen werfen Fragen auf. Zur Abaya: Lassen sich derlei Frauenkleider, die vom Halsansatz bis zu den Hand- und Fußgelenken fast den ganzen Körper bedecken, ebenso leicht identifizieren wie Schleier, Kippa oder großes Kreuz (deren Tragen in Frankreichs Schulen seit 2004 per Gesetz verboten ist)? Eine ehemalige Parteichefin der Grünen zeigte auf ihrem Zwitscherkonto ein dieser Beschreibung entsprechendes Kleid – über das ein Kommentator prompt ätzte, kein vollsinniges Mädchen würde je „eine derart hässliche Klamotte“ anziehen, es sei denn, um ihre Religionszugehörigkeit zur Schau zu tragen. In die Falle getappt: Es handelte sich um eine Gucci-Kreation aus bedruckter Seide! Der Conseil français du culte musulman bestritt seinerseits den religiösen Charakter der Abaya. Man habe es vielmehr mit „einer Art Mode“ zu tun, beschied der Vizepräsident des Dachverbands islamischer Interessengruppen in Frankreich.


Abaya, Modell „Laubfrosch in Falludscha“? Weit gefehlt: Seidenkleid von Gucci, für knapp dreitausend Euro zu haben. (Bild: X)

Das mag von Marokko bis Indonesien so sein, in Frankreich jedoch verhalte es sich anders, entgegnete dem die über muslimische Kleidergebote forschende Soziologin Agnès de Féo. Die Abaya werde hierzulande nicht als eine traditionelle Tracht angesehen, die ihre Trägerinnen aus kulturellen oder modischen Gründen anzögen, sondern als ein – auch in den Augen von Nichtmuslimen – klar religiös konnotiertes Kleidungsstück. Doch an dieser Stelle schlägt die Soziologin einen unerwarteten Haken. Laut ihren Feldforschungen ist nämlich der wichtigste Grund für das Tragen der Abaya nicht Religiosität – sondern Auflehnung gegen Fremdbestimmung, gegen die Diktate einer Gesellschaft, die Frauen (und im vorliegenden Fall rebellischen Adoleszentinnen) verbietet, sich so zu kleiden, wie sie es wollen. Der Schleierbann in Schulsystem und Staatsapparat 2004 habe so zu einem markanten Anstieg der Präsenz von Kopftüchern im öffentlichen Raum geführt. Das Abaya-Verbot könnte ähnlich kontraproduktiv wirken.


Lediglich Internatsschüler waren im Lauf von Frankreichs Geschichte zum Tragen einer Uniform verpflichtet. Dagegen hat nie je eine allgemeine Kleiderordnung bestanden – bis auf das Überziehen einer Bluse, um Tintenkleckse und andere Schmutzflecken zu vermeiden! (Bild: Ausstellungsansicht Munae)

Der versuchsweisen „Wiedereinführung“ von Schuluniformen zwecks Stärkung von Respekt und Autorität – so der neugebackene Bildungsminister – möchte man gleichfalls keinen großen Erfolg voraussagen. In dem südöstlich von Paris gelegenen Städtchen Provins, wo ein solches Experiment bereits 2018 auf freiwilliger Basis lanciert worden war, trug zwei Jahre später kaum einer der siebenhundert betroffenen Schüler noch eine Uniform. Zu teuer, zu unpraktisch, zu… uniform, so der Tenor vor Ort. Vor allem hat in Frankreichs Schulsystem nie je eine allgemeine Uniformpflicht bestanden, nicht einmal im neunzehnten Jahrhundert. Gegenteilige Behauptungen konservativer bis rechtsextremer Kreise straft eine seit Juni im Musée national de l’Éducation in Rouen zu sehende Ausstellung zum Thema „Schulkleider“ Lügen. Die Uniform als „Wundermittel gegen alle Übel unseres Schulsystems“, heißt es da, sei eine „mythische Rekonstruktion“ einer Vergangenheit, die es nie gegeben habe.


Von wegen uniform! Diese Fotografie von Jean Suquet zeigt die Diversität des Schuhwerks französischer Primarschüler im Jahr 1959. (Bild: Munae)


Die Ausstellung "S'habiller pour l'école" läuft bis zum 31. März 2024 im Musée national de l'éducation in Rouen. Der lesenswerte Katalog kann online bestellt werden.
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