Ein Gespräch mit Marion Hallet, Autorin einer jüngst erschienenen filmwissenschaftlichen Studie über die Schauspielerin, deren Tod sich am 29. Mai zum vierzigsten Mal jährt
Marc Zitzmann: Marion Hallet, Ihr Buch – von dem zu hoffen steht, dass es bald übersetzt wird – füllt eine Lücke. Romy Schneider ist ein europäischer Star mit je einem Standbein im deutschen und im französischen Sprachbereich. Aber hüben wie drüben fehlt es an anspruchsvollen Publikationen. Auf Deutsch sind immerhin Günter Krenns gut recherchierte Biografie und Michael Tötebergs knappe, pointierte Monografie greifbar. Auf Französisch findet sich fast nur Sensationsheischendes und/oder Hagiografisches. Warum interessieren sich seriöse, ambitionierte Autorinnen und Autoren nicht für Schneider?
Marion Hallet: Es gibt durchaus Bücher oder Artikel, die den einen oder anderen Aspekt beleuchten. Was fehlt, sind Gesamtdarstellungen mit wissenschaftlichem Anspruch. Ich erkläre mir das dadurch, dass Schneider in erster Linie ein populärer Star war. Die gehobene Filmkritik rümpfte die Nase über die „Sissi“-Trilogie aus den 1950er Jahren. In Deutschland wurde Claude Sautet, dessen fünf Filme mit Schneider deren Image in den 1970er Jahren prägten, lange Zeit nicht anerkannt. Mein Ziel war es, einen Überblick über die knapp drei Jahrzehnte umfassende Laufbahn der Schauspielerin zu bieten, und das aus feministischer Warte und mit Blick auf ihren transnationalen Starruhm.
Sie unterteilen Schneiders Laufbahn in drei Phasen. Die erste, deutschsprachige läuft von 1953 bis 1959. Frappant ist hier zunächst die enge Mutterbindung…
„Wenn der weiße Flieder wieder blüht“ (1953), der erste Film, in dem Romy Schneider auftrat, wurde seinerzeit als das Comeback von Magda Schneider vermarktet. Diese hatte vor dem Krieg eine erfolgreiche Filmkarriere geführt. Bis 1958 würden die beiden weitere sieben Mal zusammen vor der Kamera stehen. Schließlich übernähme die Tochter gar in einer Neuverfilmung von Arthur Schnitzlers „Liebelei“ die Hauptrolle, welche die Mutter ein Vierteljahrhundert zuvor in dem Klassiker von Max Ophüls verkörpert hatte! Darüber hinaus wachten Magda Schneider und ihr zweiter Gatte bis Anfang der 1960er Jahre über Romys Karriere, sichteten für sie Drehbücher, handelten Verträge aus…
Die drei „Sissi“-Filme bilden das Herzstück dieser frühen Phase…
Sie waren unglaublich erfolgreich, machten die Jungschauspielerin zum europäischen Star, zementierten ihre Persona. Diese kann man mit Begriffen umschreiben wie „Frische“, „Reinheit“ und „Natürlichkeit“, aber auch „Fügsamkeit“, ja „Unterwerfung“.
Gibt es eine ideologische Komponente?
Wie viele österreichische Werke der Nachkriegszeit rücken die „Sissi“-Filme die unmittelbare Vergangenheit auf Distanz. Mit der langen Herrschaft von Franz Joseph I. beschwören sie ein nostalgisch verklärtes „goldenes Zeitalter“ herauf. Die junge Kaiserin bildet mit ihrer Herzensgüte eine „rettende Figur“ für den Mann und für das Land, die sie liebt. Sie bezeugt Toleranz für „Zigeuner“ (die echten Roma wurden als Statisten auf dem Set des zweiten und dritten „Sissi“-Films übel behandelt) und sucht ihren „Franz“ mit den Ungarn auszusöhnen.
Sehen Sie in dieser frühen Phase einen Entwicklungsbogen?
Absolut. Man kann von einem Coming-of-Age-Narrativ sprechen. Ähnlich wie die Figur der Kaiserin auf der Leinwand verwandelt sich Schneider als öffentliche Person vom allerliebsten Mädel in eine – wie man damals sagte – heiratsfähige junge Frau.
Doch eines ließ ihr Image zu jener Zeit nur ganz am Rande zu: Sexualisierung.
Diese bildet ein Hauptthema der zweiten, „internationalen“ Phase von 1960 bis 1969. Zwischen Brigitte Bardots enthemmtem Mambo in „Et Dieu… créa la femme“ (1956) und dem züchtigen Tänzchen, das Schneider zwei Jahre später in „Scampolo“ hinlegt, klaffen Welten. Die eine wirkte seinerzeit gefährlich und transgressiv, die andere harmlos und mehrheitsfähig. Eine komisch-surrealistische Szene aus dem vergessenen Film „Ein Engel auf Erden“ von 1959 dünkt mich hier bezeichnend. Zwei betrunkenen Männer erscheint da eine Figur mit Schneiders Zügen in erotischem Outfit: Büstenhalter, Schlüpfer, Strumpfhose. Doch es handelt sich um eine Schaufensterpuppe. Es war zu diesem Zeitpunkt schlicht nicht möglich, den „Sissi“-Star zu entblößen.
Das tat dann 1962 Luchino Visconti in „Il lavoro“, seinem Beitrag zu dem Episodenfilm „Boccaccio '70“.
In einer berühmten Szene lässt der Regisseur da die Kamera auf Schneiders nacktem Rücken verweilen – Rückansichten waren fortan ein Topos ihrer Filmografie. Visconti hat der in Wien geborenen, in Oberbayern und Österreich aufgewachsenen Deutschen das Flair einer Pariserin verliehen, auch dank der prägenden Bekanntschaft mit Gabrielle Chanel, die die Kostüme für „Il lavoro“ entwarf. Er hat ihr aber überdies die Bühnenbretter erschlossen, mit einer Pariser Inszenierung von John Fords Tragödie „'Tis Pity She's a Whore“. Für die Enkelin eines Ensemblemitglieds des Burgtheaters war das wichtig.
Schneider wurde nie müde zu betonen, wie viel sie ihrem „Lehrmeister“ Visconti zu verdanken habe. Umgekehrt wurde kaum je festgehalten, wie viel die Schauspielerin durch ihre Kunst dem Regisseur gegeben hat. In „Il lavoro“ vermittelt sie sowohl die Verletzlichkeit ihrer Figur als auch deren Raffinement, Attraktivität, Trauer und Trotz. Und bei ihrer dritten und letzten Zusammenarbeit für „Ludwig“ (1973) verkörperte sie – näher an den historischen Zeugnissen – Elisabeth von Österreich-Ungarn als Anti-Sissi: zynisch, melancholisch, desillusioniert.
Visconti konnte bekanntlich ausfallend, ja übergriffig werden. Medien beschrieben die Beziehung zwischen dem „Pygmalion und seiner Muse“ recht gönnerhaft und infantilisierend: Er habe sie in eine „seriöse Schauspielerin“ verwandelt, ihre „feminine Essenz“ offenbart. Das erotisierte Leiden – unter Männern – war eine der Säulen von Schneiders dramatischer Persona in den 1960er Jahren. Im folgenden Jahrzehnt wurde es gar zum Eckstein.
In ihrer „internationalen“ Phase zwischen 1960 und 1970 scheint Schneider auf der Leinwand diverse weibliche Rollenmodelle durchzuprobieren…
In „Le Combat dans l’île“ spielt sie eine misshandelte Frau, die sich von ihrem rechtsextremen Gatten löst – freilich nur mithilfe eines anderen Mannes. In „La Voleuse“ ist sie eine Mutter, die für ihre sexuelle Freizügigkeit und für die Aufgabe ihres Kindes im Jugendalter bestraft wird – wie Marguerite Duras die Dialoge eines derart frauenfeindlichen Films schreiben konnte, bleibt ein Rätsel. In Orson Welles’ Kafka-Verfilmung „The Trial“ schlüpft sie ins Krankenschwesternkostüm einer leicht perversen Nymphomanin; in Henri-Georges Clouzots unvollendetem Eifersuchtsdrama „L’Enfer“ wird sie zur Projektionsfläche für ebenso faszinierende wie frustrierende Wahnvisionen.
Erst in ihrer dritten und letzten, „französischen“ Phase zwischen 1970 und 1982 findet Schneider in fünf Filmen mit Claude Sautet eine Persona, die ein Gegengewicht zu jener der „Sissi“-Trilogie zu bilden vermag: die moderne, emanzipierte Frau von nebenan.
Diese in Frankreich weitverbreitete Sichtweise nuanciere ich in meinem Buch stark. Bei aller unbestreitbaren Güte sind die fünf Sautet-Filme voll von einer überkommenen patriarchalen Ideologie. Schneider verkörpert in ihnen eine Mätresse, eine Prostituierte, eine wankelmütige Verführerin, eine Frau, die erst abtreibt, dann aber, abermals schwanger, in der Mutterschaft Erfüllung findet… Bis vielleicht auf Marie in „Une Histoire simple“ werden all diese Figuren durch ihre Beziehung(en) zu Männern definiert. Und selbst in letztgenanntem, dezidiert „feministischem“ Werk sprechen die Frauen, wenn sie für einmal unter sich sind – was in Filmen jener Zeit selten genug vorkommt –, nicht über Beruf, Kunst oder Politik, sondern über Sex, Ehe und Familie.
Die moderne, emanzipierte Frau von nebenan…
… verkörperte in jenen Jahren Annie Girardot. Oder Miou-Miou. Oder Marlène Jobert. Schneider war – wie Catherine Deneuve – schon rein physisch zu außergewöhnlich, um in die Haut einer gewöhnlichen Frau zu schlüpfen. Selbst als Dirne in „Max et les ferrailleurs“ wirkt sie distinguiert.
Bei aller Fremdbestimmung: Die Schauspielerin hat sich ihre Rollen selbst ausgesucht.
Und dabei zum Teil ureigene Akzente gesetzt! Ich denke namentlich an ihre Filme über die Besatzungszeit wie "Le Vieux fusil" oder "La Passante du Sans-Souci". Sie ist der einzige weibliche Star, der seinerzeit Hauptrollen in solchen Werken gespielt hat. Um 1960 war Schneider durch einstige Exilanten wie Marlene Dietrich, Lilli Palmer und Otto Preminger über Deutschlands NS-Vergangenheit aufgeklärt worden. Sie kann dabei nicht umhingekommen sein, die eigene Familiengeschichte zu hinterfragen – ihre Eltern waren was man in Entnazifizierungsverfahren „minderbelastet“ nannte: Opportunisten, aber keine Verbrecher. 1966 heiratete Schneider mit Harry Meyen einen einstigen „Mischling ersten Grades“, der das KZ Neuengamme überlebt hatte. In ihren Kriegsfilmen spielte sie durchweg Opfer, mehrfach Jüdinnen.
Schneider war Wahlfranzösin, aber zutiefst deutsch. Sie träumte von Emanzipation, aber auch von der Unterwerfung durch einen starken Mann. Die „Sissi“-Filme nannte sie das eine Mal karrierefördernd, das andere Mal unerträglich. Man könnte so fortfahren. Warum strahlt ihr Stern trotz all dieser Diskrepanzen ungebrochen hell, vierzig Jahre nach ihrem Tod im Mai 1982?
Romy Schneiders Laufbahn lässt sich in zwei Begriffen zusammenfassen: Konsens und Paradox. Ihr Bild schwankte ständig zwischen zwei Polen: Tradition und Modernität, fügsames Mädchen und verheißungsvolle junge Frau, leicht abweisende Bourgeoise und erotischer Magnet, Jugendduft der Schönheit und morbider Hautgout.
Ganz große Stars wie Marilyn Monroe, Marlon Brando oder eben Romy Schneider haben es verstanden, Widersprüche zu verkörpern und Diskrepanzen zu versöhnen. So wurden sie zu Objekten der Faszination und der populären Zuneigung: zu Mythen und Ikonen.
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