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In Reaktion auf die Geistfeindlichkeit der MAGA-Hunnen

Französische Forscher postulieren die Aufnahme von „Wissenschaftsflüchtlingen“ aus den USA

 


Frankreichs Wissenschaftler verfolgen mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Furcht, wie Donald Trump und seine MAGA-Hunnen die Universitäten und Forschungsinstitute der vor China noch immer führenden Wissensnation der Welt verheeren. Fassungslosigkeit, weil man in der Geschichte des Westens neun Jahrzehnte zurückgehen muss, um eine noch brutalere Mischung aus ideologischer Verblendung und purer Geistfeindlichkeit ihr Zerstörungswerk verrichten zu sehen. Furcht, weil die Welt der Wissenschaft mindestens ebenso stark integriert ist wie jene der Wirtschaft – und der Kahlschlag drüben unweigerlich manche Pflanzung hüben in Mitleidenschaft ziehen wird.


Logo des französischen Ablegers der US-amerikanischen Protestbewegung Stand Up for Science (Bild: Stand Up for Science)
Logo des französischen Ablegers der US-amerikanischen Protestbewegung Stand Up for Science (Bild: Stand Up for Science)

Frankreichs Forscher nehmen kein Blatt vor den Mund, um das Unwesen in Übersee zu geißeln. Da ist von „schauerlichen Nachrichten“ aus den USA die Rede, von „unsinniger Brutalität“, ja von einem „heftigen Blitzkrieg“, um „geistige Grobheit, Obskurantismus und Verschwörungswahn“ zu verbreiten. Viele schaudern angesichts der neuerdings mit Verbot belegten Vokabeln. Die „New York Times“ führt so über 200 Wörter auf, die von Websites und Publikationen der föderalen Regierung entfernt worden sind. Wissenschaftler haben sie tunlichst zu meiden, wollen sie Artikel publiziert und Subventionseingaben angenommen sehen. Die Liste reicht von A wie „activism“ bis W wie „women“ (sic) und umfasst so gebräuchliche Begriffe wie „anti-racism“, „bias“, „climate crisis“, „cultural heritage“, „disability“, „discrimination“, „diversity“, „gender“, „historically“, „key groups“, „mental health“, „minorities“, „Native American“, „racism“, „sex“, „status“, „trauma“ und „victim“. Wer sich hier nicht an Hitlerdeutschland erinnert fühlt, braucht Nachhilfe in Geschichte.


Bedroht sind in den USA nicht nur Historiografen, sondern auch Wissenschaftler, die in Feldern wie Infektionskrankheiten, Immunologie, Onkologie und Neurobiologie forschen, die sich mit Vorhersage und Bewältigung von Naturkatastrophen, mit Umweltverschmutzung und Klimaerwärmung befassen, die Gender, Migrationen und die Situation von Frauen unter die Lupe nehmen. Die Folgen sind verheerend: Zehntausende von Posten wurden bereits gestrichen, etwa in der Raumfahrtbehörde NASA, der National Oceanic and Atmospheric Administration und den National Institutes of Health. Längerfristig könnten laut einer Anfang April veröffentlichten Untersuchung der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ infolge der Zerschlagung der United States Agency for International Development und des President's Emergency Plan for AIDS Relief eine Million Kinder weltweit mit HIV infiziert werden – und die Hälfte von ihnen bis 2030 an den Folgen sterben!


Französische Forscher sind direkt betroffen, zum einen, weil Kollegen in den USA nunmehr verboten ist, ohne ausdrückliches Plazet der Obrigkeit mit ihren Widerparts im Ausland kommunizieren, zum andern, weil eine Vielzahl gemeinsamer Forschungsprojekte auf Eis gelegt sind, wo nicht gar annulliert. Diese reichen von den Treibbojen des Programms „Argo“, die den Puls der globalen Wärmebilanz messen, bis zu Studien über Alkoholmissbrauch, Tuberkulosebehandlung oder die Wiederherstellung nach einer Covid-Infektion. Der neue wissenschaftliche Isolationismus führt zu einem herben Attraktivitätsverlust des Forschungsstandorts USA: Viele französische Doktoranden nehmen dieser Tage Abschied von ihrem Traum, als Postdoc jenseits des großen Teichs weiterzuforschen.


Protestversammlung von Stand Up for Science in Toulouse am 7. März 2025. An jenem Tag bezeugten Franzosen in mehr als dreißig Städten landesweit den Demonstranten in Washington sowie Dutzenden weiterer US-amerikanischer Gemeinden ihre Solidarität. (Bild: flickr)
Protestversammlung von Stand Up for Science in Toulouse am 7. März 2025. An jenem Tag bezeugten Franzosen in mehr als dreißig Städten landesweit den Demonstranten in Washington sowie Dutzenden weiterer US-amerikanischer Gemeinden ihre Solidarität. (Bild: flickr)

Zwei Petitionen hiesiger Wissenschaftler rufen dazu auf, den durch Trump und Konsorten verfolgten Kollegen und Kolleginnen eine helfende Hand zu reichen. Nähme jede von Europas rund 1500 Universitäten und höheren Bildungs- und Forschungsstätten je drei bis vier Forscher aus Übersee auf, rechnet der erste Aufruf vor, kosteten diese 5000 „Asylanten“ die EU via einen eigens einzurichtenden Fonds verhältnismäßig tragbare 750 Millionen Euro pro Jahr. Der zweite Appell, mitlanciert durch den ehemaligen Staatspräsidenten François Hollande, fordert die Schaffung eines Statuts für „Wissenschaftsflüchtlinge“ mitsamt entsprechendem Visa. Das heutige Asylrecht trage nicht den Eigenheiten der akademischen Welt Rechnung, es müsse angepasst werden für Forscher, die durch autoritäre Regimes „am Arbeiten gehindert, unablässig bedrängt und ins Exil getrieben“ werden, weil ihr Wirken die betreffende Propaganda entlarvt. Schon seit 2017 gewährt ein durch das Collège de France getragenes Programm namens „Pause“ Wissenschaftlern (und Künstlern) aus Kriegsgebieten oder geistfeindlichen Staaten wie Iran, Russland oder der Türkei Gastrecht.


Diese „tradition d’accueil“ ist eine Spezifik des Landes: Forscher sind als einzige von der Auflage befreit, für die Aufnahme in den Staatsdienst den französischen Pass zu besitzen. So hat Aix Marseille Université bereits Anfang März ein mit bis zu 15 Millionen Euro dotiertes Programm namens „Safe Place for Science“ eingerichtet, um rund 15 Wissenschaftler aus den USA für drei Jahre anzustellen. Knapp 300 Kandidaturen sind eingegangen, die ersten Forscher könnten schon im Juni anreisen. Für den Verleih von Visa oder für die Schuleinschreibung von Kindern darf die Universität auf die Hilfe der Region Sud zählen.


Am Freitag ist auch die Politik auf den Zug aufgesprungen. Emmanuel Macron kündigte für den 5. Mai eine Versammlung der Forschergemeinschaft an – zu welchem Zweck, ist noch unklar. Am selben Tag lancierte die Regierung eine Plattform namens „Choose France for Science“, die alle Aufnahmeprojekte für Wissenschaftler im Lande auflistet. Fallweise, so das Versprechen, wird der Staat bis zur Hälfte der entsprechenden Kosten tragen. „Warum Frankreich wählen?“, wird da gefragt. Eine der sechs Antworten: „Weil die akademische Freiheit zum Kern unserer Werte zählt“.


Eine Flut von Wissenschaftsflüchtlingen aus den USA ist trotzdem nicht zu erwarten. Im Vergleich zu den Vereinigten Staaten ist Frankreich hoffnungslos unterdotiert, Infrastrukturen und Gehälter hinken um Meilen zurück. Zuwandern dürften so hauptsächlich Berufsanfänger oder emigrierte Franzosen, die ohnehin heimzukehren gedachten. Für andere sind in Europa Länder wie Belgien, Deutschland, Schweden oder die Schweiz ungleich attraktiver. Wer die USA nicht verlassen kann oder will, steht dagegen vor rabenschwarzen Perspektiven. Studenten und junge Diplomanden in vielen Wissenschaftsfeldern dort bilden womöglich eine verlorene Generation.


Im etwas angestrengten Bestreben, dem Unglück der Amerikaner etwas Gutes für die Europäer abzugewinnen, befand ein Forscher des Institut de génétique humaine der Universität von Montpellier, der vor zwanzig Jahren selbst Postdoc an der University of Massachusetts war, Trump und Musk seien dabei, „uns Alternativen zu amerikanischen Werkzeugen, Institutionen, Datenbasen und Finanzierungen entdecken zu machen“. Derweil der Vorstandsvorsitzende des Institut Curie, des führenden französischen Krebsforschungszentrums, dafürhielt, Frankreich solle sich endlich die Mittel geben, das selbstgesteckte Ziel von 3 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Forschung zu erreichen. Heute stagnieren die Ausgaben bei 2,2 Prozent, knapp über dem Mittelwert der EU – gegen 3,6 Prozent für die USA.

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