Aus allfällig gegebenem Anlass: wie die Kulturpolitik von Frankreichs rechtsextremem Rassemblement national aussehen könnte
Die Kulturpolitik von Frankreichs Rassemblement national (RN)? Eine leere Figur mit klaren Konturen. In den Wahlprogrammen der rechtsextremen Partei spielt Kultur eine noch geringere Rolle als in jenen konkurrierender Bewegungen. Das Programm des amtierenden Parteipräsidenten, Jordan Bardella, für die Regionalwahlen in der Île-de-France 2021 verwendete das Wort kein einziges Mal. Klaubt man sich aus verstreuten Dokumenten und disparaten Verlautbarungen etwas wie ein kulturpolitisches Credo zusammen, sticht ins Auge, dass der RN zuvörderst Widerstand verkörpert. Gegen den „Snobismus der Pariser Bobos“, gegen die „globalisierte Massenkultur“, gegen alles, was „kommunitaristisch“ ist oder „nicht lokal verankert“. Vor allem aber gegen zeitgenössische Kunst – das heißt, so ein Kunstkritiker der Partei, gegen „elitäre“ Arbeiten, die aussehen „wie von einem Fünfjährigen produzierte Hühnerknochen oder Riesenspermien“. Folgerichtig fordert der RN die Abschaffung der staatlichen regionalen Sammlungen heutiger Kunst (Fonds régionaux d’art contemporain) – diese könnte man ja gegebenenfalls durch Kollektionen figurativer Werke ersetzen.
Im Positiven lieben die Rechtsextremen das „Wahre, Gute, Schöne“. Und ganz besonders die alten Gemäuer, die es als Wirbelsäule der „moralischen Wiederaufrichtung des Landes“ selbst wiederaufzurichten gilt. Privatbesitzer sollen zu diesem Zweck Steuervergünstigungen erhalten und bei Restaurierungsarbeiten durch 18- bis 24-jährige „Denkmaldienstleistende“ unterstützt werden. Das aktuelle Kunstschaffen dürfe sich auf „Mäzenatentum aus dem Volk“ freuen (viel Erfolg bei der Kollekte!). Museen müssten vermehrt Werke aus ihren Reserven ausstellen (aber mit welchen Mitteln und in welchen Räumlichkeiten?). Theaterbesucher könnten ihre Lieblingsstücke aus einer Repertoireliste aussuchen (die Schauspieler spielten so auf Abruf wie Rädchen im Getriebe einer lebensgroßen dramatischen Jukebox). Vor allem jedoch gelte es Volksfeste und -traditionen, populäre Tänze, Trachten und Turniere zu verteidigen. Gegen wen? Gegen fremde „Kulturen“ im ethnologischen Sinne: Konkurrierende „Sitten“ und „Lebensweisen“, die die französischen zu überfallen und verdrängen suchten. Laut lexikalischen Untersuchungen ruft bei Marine Le Pen, der Führerin des RN, das Wort „Kultur“ reflexhaft Assoziationen aus dem semantischen Feld der Immigration hervor: „Identität“, „Assimilation“, „Kommunitarismus“, „Muslime“, „Islamismus“…
Der RN war in seiner über fünfzigjährigen Geschichte weder auf nationaler noch auf regionaler Ebene je an der Macht. Doch hat er im Lauf der Zeit insgesamt zwanzig Gemeinden geleitet. Hier gilt es zwei Phasen zu unterscheiden. Zwischen 1995 und 1997 eroberte die Partei vier Rathäuser in der Provence. Der Versuch, die Regierungsfähigkeit des Front national zu beweisen (2018 änderte die Bewegung ihren Namen in „Rassemblement national“, wir verwenden hier je nach Epoche die Abkürzung „FN“ oder „RN“), misslang spektakulär. Dutzende missliebiger Kulturvereine wurden liquidiert, Theater- und Kinoleiter entlassen, selbst das überregional ausstrahlende Opernfestival Chorégies d’Orange sah sich permanent bedroht. In der Stadtbücherei von Orange wurden „kosmopolitische“ Bücher, solche von „linken Autoren“ oder über Themen wie Rap, Drogen, Rassismus, Homosexualität und Zweiter Weltkrieg von den Ankaufslisten gestrichen; stattdessen stammten alle 35 Neuheiten des Herbstes 1996 von FN-Autoren. Toulon und Vitrolles sahen ähnliche Säuberungsaktionen; in Marignane wurden zudem die Abonnements dreier linker Zeitungen zugunsten dreier rechtsextremer gekündigt. Dabei ging die Misswirtschaft weit über den Kulturbereich hinaus: Korruption und Klientelismus, Hexenjagden, Sittenskandale und Schuldenberge – am Ende wurden drei der vier ersten FN-Bürgermeister zu Gefängnisstrafen verurteilt.
So lautete die Losung, als die Partei 2014 gleich elf Gemeinden eroberte: „Keine Wellen!“. Tatsächlich scheinen die Finanzen diesmal nicht aus dem Ruder gelaufen zu sein, wenngleich um den Preis des Nichtstuns (wie in Le Pontet oder Villers-Cotterêts) beziehungsweise des Verkaufs von Gemeindegütern (wie in Beaucaire und Fréjus). Doch der Kampf gegen vermeintlich invasive „Kulturen“ wird fortgeführt: In Cogolin und Hayange sind orientalische Tänze verpönt, dafür tischen die städtischen Kantinen in Beaucaire jeden Montag Schweinefleisch auf, derweil der Bürgermeister von Hénin-Beaumont eine „Anti-Migranten-Charta“ aufgesetzt hat. Es ist sonnenklar, auf welche Bevölkerungsgruppe derlei Schikanen abzielen. In dieselbe Kerbe schlägt die Aufstellung von Weihnachtskrippen im Innern der Rathäuser, die der Trennung von Kirche und Staat zuwiderläuft. Ob das penetrante Hantieren mit katholischen Symbolen und Referenzen seitens etlicher RN-Bürgermeister die Bekehrung der Vertreter fremder „Kulturen“ bezweckt – oder nicht doch eher deren Ausgrenzung?
Von Interesse ist endlich ein letzter Aspekt der Kulturpolitik einiger rechtsextremer Stadtoberhäupter: Der Geschichtsrevisionismus. Im lothringischen Hayange ließ der Gemeindevorsteher Minenwägelchen in den Farben der Trikolore streichen – und negierte damit, dass Immigranten aus sechzehn Ländern in den regionalen Zechen mitgeschuftet hatten. In Perpignan möchte Louis Aliot nicht nur auf Dalí und Flamenco setzen (und das Gebäude des auf Wunsch der Enkelinnen des Philosophen „enttauften“ Centre d’art contemporain Walter Benjamin an eine Konfektionsmarke verkaufen). Der Vizepräsident des RN stilisiert die 2020 eroberte 120 000-Seelen-Stadt auch zur „Kapitale der Algerienfranzosen“ – etwa 15 000 „Schwarzfüße“ waren nach Algeriens blutiger Loslösung von der Metropole vor sechzig Jahren nach Perpignan übergesiedelt. Erst organisierte Aliot 2021 eine Schau über die Greuel, die nach dem Waffenstillstand am 19. März 1962 an den ehemaligen Kolonialherren verübt worden waren. Dann im Folgejahr ein dreitägiges Großereignis, um Frankreichs „zivilisatorisches Werk“ jenseits des Mittelmeers hochleben zu lassen und um drei Anführern des Algier-Putschs von 1961 postum die Ehrenbürgerwürde zu verleihen.
Olivier Gandou, ein Aktivist aus Perpignan, hat unlängst eine 250-seitige Bilanz von Aliots drei ersten Jahren als Bürgermeister veröffentlicht. Dessen Vorsatz, „die Opfer, nicht die Täter“ ehren zu wollen, nennt er eine Simplifizierung der Geschichte Algeriens: Hier die „Schwarzfüße“ als Opfer, da die algerische Befreiungsbewegung FLN und der französische Staat als Täter. „Diese Vereinfachung erlaubt es, jede Kritik des Kolonialsystems und seiner Gewaltakte vor Ausbruch des Kriegs 1954 beiseitezuschieben: Landraub durch die Siedler, Zerstörung der Bauernwelt, Einsetzung eines den Europäern geneigten Justizsystems, Verweigerung jeglicher Konzession seitens des Staats an friedliche Protestbewegungen…“
Wer die Kulturpolitik von Frankreichs Rassemblement national kennenlernen will, schaue sich das Wirken der betreffenden Bürgermeister an. Leitgedanke in allem ist ein „Differentialismus“, gemäß dem „Kulturen“ – gemeint sind „Völker“, wo nicht „Rassen“ –, um ihre seit mythischen Urzeiten fixierte und in alle Ewigkeit unwandelbare „Identität“ nicht zu verlieren, voneinander getrennt und ohne jede Durchmischung leben müssen. Fortlebensfähige Kultur ist das genaue Gegenteil dieser sterilen Apartheid.
Comments