Dreizehn Frauen bezichtigen Gérard Depardieu in „Mediapart“ sexueller Übergriffe. Nicht in schummerigen Kulissen, sondern im Licht der Scheinwerfer, vor den Augen der Crew.
Wie ein Schwein. Treffender lässt sich Gérard Depardieus Betragen auf Filmsets in den letzten Jahrzehnten nicht beschreiben. Es ist bekannt, dass Frankreichs überlebensgrößter Starschauspieler zu den Dreharbeiten erscheint, wann immer es ihm passt, nicht selten in alkoholisiertem Zustand. Dass er seinen Text schon lang nicht mehr auswendig lernt, sondern via In-Ear-Kopfhörer souffliert bekommt oder aber von Spickzetteln abliest, die auf Möbel geheftet sind, wo nicht gar auf die Stirn eines Spielpartners. Und dass er, halb aus Provokation, halb aus Rücksichtslosigkeit, vor Mitwirkenden gern rülpst und furzt.
Nun bezichtigt ihn „Mediapart“ obendrein sexueller Übergriffe. Die ob ihrer Investigationen ebenso geachtete wie gefürchtete Pariser Onlinezeitung hat seit Februar 2021 nicht weniger als dreizehn Zeugnisse von Frauen zusammengetragen, die Depardieu „sexuelle Gesten und Worte von unterschiedlicher Schwere“ vorwerfen. Betroffen sind laut der Journalistin Marine Turchi die Dreharbeiten für elf Filme und Serien zwischen 2004 und 2022.
Beim Lesen der Aussagen lässt sich ein Modus operandi erkennen. Laut den Anklägerinnen verbreite Depardieu auf Filmsets eine stark sexualisierte Atmosphäre, die bei vielen Frauen eine Malaise erzeuge. Er mache anzügliche Gesten, schneide „mit seiner Zunge dreckige Grimassen“, grunze viehisch oder brülle wie ein brünstiger Eber. An das jeweilige Objekt seiner Begierde richte er obszöne Witze oder Worte, werde oft aber auch handgreiflich. So seien etliche der mutmaßlichen Opfer an den Schenkeln, den Brüsten, dem Gesäß begrapscht worden, so sie nicht einen Finger im Höschen abgewehrt hätten. Was hier schon unappetitlich genug klingt, ist bloß eine abgemilderte Zusammenfassung der dreizehn Zeugnisse.
Erschwerend wirkt zum einen, dass diese Übergriffe nicht in Hinterzimmern oder schummerigen Kulissen stattgefunden haben sollen, sondern im Licht der Scheinwerfer, auf dem Filmset, zum Teil gar vor laufenden Kameras. Und zum andern, dass negative Reaktionen der Beistehenden – geschweige denn ebensolche Konsequenzen für den Schauspieler – fast immer ausgeblieben seien. Schlimmstenfalls hätten alle in spontanes oder gezwungenes Gelächter eingestimmt ob des deftigen „Humors“ des Stars. Bestenfalls sei klammes Schweigen eingetreten. Eine ehemalige Schauspielerin geißelt so die Filmcrews, die „zehnmal mehr Verantwortung als Depardieu“ trügen: „Wenn alle aufstehen würden und die Arbeit niederlegten, wenn alle sagten: ‚Das können wir nicht akzeptieren‘, hätten sie eine außerordentliche Macht.“
So aber haben sich die dreizehn Frauen, die zum betreffenden Zeitpunkt überwiegend am Anfang ihres Berufslebens standen und zum Teil Statistinnen oder Technikerinnen waren, nicht nur genötigt, entwürdigt und verletzt gefühlt, sondern auch völlig ohnmächtig – „wie das Spielzeug des Moments“, beschreibt eine von ihnen was sie wie eine Objektifizierung anmutete. Keines der mutmaßlichen Opfer hat Anzeige erstattet, zu groß ist die Überzeugung von der Vergeblichkeit eines solchen Unterfangens angesichts des erdrückenden Machtgefälles. Drei der Frauen haben immerhin vor Frankreichs Justiz Zeugnis abgelegt, eine von ihnen, um die Klage wegen Vergewaltigung der Schauspielerin Charlotte Arnould zu stützen – die entsprechende Ermittlung gegen Depardieu läuft seit Dezember 2020. Auf die Fragen von „Mediapart“ wollte der Star nicht antworten, bestritt via seinen Anwalt aber „mit Entschiedenheit alle Anschuldigungen, die strafrechtlich belangt werden könnten.“
Verdienstvollerweise hat die Onlinezeitung nicht nur zahlreiche Mitwirkende der betreffenden Filme und Serien befragt, die oft die Schilderungen der Anklägerinnen bestätigen, sondern auch zwanzig Regisseure und Produzenten. Von den elf, die geantwortet haben, sagen die meisten in Substanz: Nichts gesehen, nichts gehört. Ein einziger, Fabien Onteniente, Autor von zwei Filmen mit dem Star, will diesem seinerzeit die Leviten gelesen haben – „er war ganz kleinlaut, wie ein Kind, das etwas ausgefressen hat“. Ein Drehbuchautor, der aus Angst um seine Karriere anonym bleiben möchte, hält fest, man verzeihe Depardieu das Unverzeihliche: Seine Nähe zu Diktatoren, namentlich zu Putin, und sein Betragen mit Frauen. Diese „Immunität“ gründe auf dem Talent des Stars, auf seinem Status als Ikone, auf seinem in guten Momenten leutseligen, einnehmenden Umgang – aber auch auf seiner Funktion als Scheitelstein vieler Produktionen. Ohne Depardieus Name auf dem Plakat fänden diese keine Finanzierung.
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